Hä?
Bisher so hatte ich gelernt - seien die Amerikaner das Volk der Rekorde. Aber dies - lerne ich jetzt - ist ein Irrtum. Wir, wir Deutschen sind es, die alle Rekorde brechen. Im Biertrinken sowieso. Aber auch in der Herstellung klassischer (deutschsprachiger) Dichtung oder Musik führen wir. Oder wir führen im Fußball. Leider führen wir auch in der Produktion schrecklicher Zeiten, die wir immer dann hatten, wenn wir Führer hatten. So ist es auch mit einem aktuellen internationalen Rekord, den - wie kann es anders sein - wieder wir Deutschen gebrochen haben: Nach einer Untersuchung des International Researching Centers der Uno-Vertretung in Brüssel sind wir an der Spitze der Nationen mit unserer - Unfreundlichkeit. Jawohl, wir Deutschen haben wieder mal gewonnen: Bei „Unfreundlichkeit" assoziieren die anderen, Nichtdeutschen, am meisten uns, die Deutschen. Angesichts der Seriösität der (nahezu objektiven, weil international besetzten) Forschergruppe sind die anderen alle weniger gut. Im Unfreundlich sein. Ob beim Entbieten des Tagesgrußes oder beim Einkaufen, ob beim Werben um eine Frau oder einen Mann... wir machen es mit Unfreundlichkeit, bestenfalls nüchterner Sachlichkeit, die nun nicht nur international aufgefallen ist, sondern uns an die Spitze brachte. Mal wieder. Andere sind da anders. Beispiel: Friederike stolperte während ihres ersten Amerika-Aufenthaltes in einem Supermarkt. Während sie sich ebenso schnell wie peinlich berührt wieder aufzurappeln versucht, hört sie folgenden Satz neben sich: „Enjoy your trip"! Das sagte - sehr freundlich und anteilnehmend - ein Vorübergehender (Amerikaner). Das wäre Enjoy your trip wörtlich: Freu Dich deines Weges. Darüber hinaus schwingt noch mehr mit: Nimm‘s nicht tragisch-Du hast mein Mitgefühl! Und: habe ein gutes Leben... Typisch deutsch im Sinne unseres neuen Rekordes wäre: Ein unwilliges Vorbeidrängen an der stolpernden Friederike. Und vielleicht noch ein: „Pass doch auf!" Typisch deutsch? offenbar. Sonst hätten wir nicht bei dieser Untersuchung über Unfreundlichkeit den ersten Platz belegt. Natürlich rede ich nicht hohler Konversation oder gestelzten Formeln in seichter Unterhaltung das Wort. Die Freundlichkeit der Amerikaner oder die Höflichkeit der Engländer oder der Charme der Franzosen die Verbindlichkeit der Österreicher oder die Grüß- Gott-Verlässlichkeit der Schweizer sind eben nur sprichwörtlich geworden. Und kein Rekord. Den halten wir. Dorothea bringt folgenden Witz aus der Schule: Ein Franzose und ein Deutscher treiben Sprachstudien: Welche Sprache ist die komplizierteste? Der Franzose erläutert, daß der Name der Stadt Bordeaux so geschrieben, jedoch „Bordoo" gesprochen wird. „Das ist nichts," sagt der Deutsche...Wir sind noch schwieriger. Wir schreiben: Wie bitte?! und sagen: I lä?!! Ein Witz? Nein- tiefste deutsche Realität. - Deswegen führen wir auch hierin. - In Unfreundlichkeit.
28. Februar 1995